Von Canyon zu Canyon in Utahs Südwesten

Eine geheime Perle

Diese Region Utahs lässt uns den Mund offen stehen! Bevor der Reiseführer mit ein paar spärlichen Sätzen auf das über 7’600 km2 grosse Gebiet des GSENM aufmerksam macht, haben wir noch nie davon gehört. Wow, was für ein komplizierter Name: Grand Staircase-Escalante National Monument, oder eben kurz GSENM.

Uns erwartet eine trockene Kulisse aus Gestein in allen Farben und Formen und wir können auf wundervolle Weise tagelang in die Wildnis eintauchen. Der frühere US-Präsident Bill Clinton hat seinerzeit das Gebiet, welches immer noch gut 500 km2 grösser ist als der flächenmässig grösste Kanton der Schweiz, nämlich Graubünden, unter Naturschutz gestellt. Zum Glück! In dem relativ unerschlossenen und unzugänglichen Naturschutzgebiet findet man keine Infrastruktur, nur wenige Pisten, keine markierten und befestigten Wanderwege, demzufolge auch keinen Massentourismus wie in vielen Nationalparks.

Damit Bodenschätze gefördert werden können, wollte Donald Trump das geschützte Gebiet halbieren. Umweltschützer und indigene Stämme setzten sich dagegen ein und nach einer heissen Debatte entschied ein Bundesrichter in Washington, D.C., dass die Flächenreduzierung vorerst nicht wirksam wird. Hoffentlich bleibt es dabei, denn die Gegend ist einfach wunderschön.

Wir biegen bei Escalante auf die Hole-in-the-Rock-Road und holpern über das üble Wellblech. Der eine oder andere würde bei all dem Gerüttel und Geschüttel vielleicht umdrehen, doch wir haben ein bestimmtes Ziel vor Augen und die Piste bringt uns genau dahin.

Natürlicher Abenteuerspielplatz

Die Wanderschuhe sind geschnürt, Manny irgendwo am Pistenrand parkiert und Picknick, Wasser und Sonnencrème eingepackt. Munter stapfen wir querfeldein drauflos. Zur Kontrolle, ob wir uns wirklich auf unseren Orientierungssinn und die wage Beschreibung „beim richtig breiten Flussbett links“ verlassen können, zücken wir ab und zu ein Smartphone, was in dieser Umgebung sehr surreal wirkt. So bestätigt der GPS-Standort unseren Wanderkurs durch die karge, sandige Landschaft.

Ausser ein paar Vögel begegnen wir niemandem. Nach einer Weile treffen wir auf einen riesigen Felsen mit einem schmalen Einschnitt, einem sogenannten Slot Canyon. Wir wagen die ersten Meter in den „Zebra Slot“. Steil ragen die Felswände nach oben und die einfallenden Lichtstrahlen zaubern eine tolle Stimmung in den verwinkelten, geschwungenen Gang. Unglaublich, was hier für eine Welt existiert, von der man ausserhalb gar nichts mitbekommt. Ganz aufgeregt klettern, krabbeln, rutschen und quetschen wir uns weiter in die Schlucht hinein. Für uns ist es ein grandioser, natürlicher und einsamer Spielplatz, in dem wir unheimlich Spass haben. Manchmal ist es so eng, dass wir nur noch seitwärts so knapp durchpassen, über Felsvorsprünge klettern oder durch ein kleines Loch kriechen müssen, um irgendwie weiterzukommen. Gepackt von diesem traumhaften Slot Canyon machen wir uns neugierig auf die Suche nach dem nächsten, dem „Tunnel Slot“. Wie kleine Kinder vergessen auch wir beim Herumtollen und Spielen komplett die Zeit. Doch der tiefe Sonnenstand holt uns zurück in die Realität und schickt uns schleunigst auf den Rückweg. Schliesslich liegen noch einige Kilometer querfeldein vor uns und die möchten wir lieber bei Tageslicht zurücklegen.

Geheimnisvolle Kugeln

Auf dem Rückweg stolpern wir über zahlreiche runde, schwarze Kugeln. Fasziniert nehmen wir sie unter die Lupe. Sind das Steine? Fragend schauen wir uns an und begutachten die teilweise winzigen, aber auch bis zu 10 cm grossen Kugeln. Einige sind halbiert und zeigen uns, dass ihr Kern beige und teilweise sogar hohl ist.

Wir lernen, dass das Moqui Marbles (engl. marbles = Murmeln) sind. Die Hopi-Indianer erzählen die Legende, dass einst die Geister verstorbenen Ahnen nachts zurückkehrten und mit Murmeln spielten. Diese liessen sie morgens als Zeichen zurück, um den Lebenden zu versichern, dass sie im Jenseits glücklich und wohlauf sind.

Die mysteriösen Moqui Marbles sind Sandsteinkugeln, die durch eine harte Hülle aus Eisenoxidmineralien zementiert sind. Jahrzehntelang waren sie einfach nur eine geologische Kuriosität und noch heute sind sich Wissenschaftler uneinig über ihre Entstehung.

Auf dem Mars wurden ihre Doppelgänger entdeckt, die sogenannten Blaubeeren vom Mars, und plötzlich wurde das Interesse an den Kugeln auf der Erde geweckt. In einem wissenschaftlichen Artikel beschreibt Dr. Marjorie Chan die Entstehung dieser Kugeln folgendermassen: Das Gebiet war einst die grösste Dünenfläche der Erde. Eisenreiche Mineralien wurden in den Quarzsand geblasen und eingegraben. Im Laufe der Zeit wurden die Dünen von jüngeren geologischen Schichten bedeckt. Diese Mineralien umhüllten dann die Sandkörner und gab dem Sandstein seine erstaunliche Farbe und seine Musterung. Durch massive tektonische Verschiebungen hob sich das Colorado-Plateau an und verzog die Gesteinsschichten. Dadurch floss eine Mischung aus Wasser und Erdgas durch den Sandstein und entfernte die rostige Beschichtung. Demzufolge verblichen die Steine von rot zu crèmeweiss. Das eisenreiche Wasser fand irgendwo einen Riss, ein Loch oder eine Umgebung, in der die Wasserchemie anders war und sich Eisen aus dem Wasser absetzte konnte. Dadurch wurden einzelne Sandkörner oder kleine Sandsteine mit Eisen bedeckt und winzige Kugeln gezeugt. Die Kugeln wuchsen Schicht für Schicht und kamen mit anderen in der Nähe in Kontakt, bis sich einige Kugeln zu einer grossen Masse verbanden, die Moqui Marbles.

Fasziniert von den geheimnisvollen Kugeln erreichen wir kurz vor der Dämmerung Manny, suchen ein schönes Plätzchen in der Wüste und geniessen bereits beim Kochen müde die strahlende Milchstrasse.

Entscheiden ist nicht einfach

Warum weiterziehen, wenn es hier noch so viel zu entdecken gibt? Ah ja, es soll ja bald wieder schneien. Hin und her gerissen, ob wir nun den hoch gelegenen Bryce Canyon Nationalpark vor dem Schnee anfahren sollen oder ob wir hier einfach den Sturm aussitzen wollen und alles was auf uns zukommt zulassen – wir entscheiden uns für letzteres.

Entspannung kommt auf und glückselig packen wir unseren Rucksack, um uns auf die Suche nach neuen Slot Canyons zu machen. Im Devils Garden ragen bunten Felsen auf, bizarre Formationen und Monolithe erheben sich gegen den Himmel und natürliche Felsbögen laden zum untendurch spazieren ein. Wir suchen uns den Weg zu den „Spooky-“ und „Peek-a-boo Slot Canyons“, krabbeln, rutschen, stecken fest, klettern und haben unheimlich Spass.

Wie vorausgesagt ziehen am Abend die dunkeln Wolken auf. Flashfloods-Warnungen tauchen auf unseren Smartphones auf. Wir suchen uns einen idealen Übernachtungsplatz, um den Sturm auszusitzen. Der Boden ist knochentrocken und bereits ein bisschen Regen kann hier grosse Überschwemmungen anrichten.

Am nächsten Morgen sind die Hügelzüge um uns fein mit Schnee bestäubt und der Regen hat die Piste in zähen Schlamm verwandelt. Zeit für uns, um eingekuschelt unter der warmen Decke zu bleiben und den Tag im Manny zu verbringen.

Üben uns in Geduld

Die Tage streichen dahin und irgendwann sind wir bereit, das GSENM zu verlassen. Wir stellen sogar den Wecker, was seit wir die Schweiz verlassen haben, maximal 10 Mal vorgekommen ist, um möglichst viel vom Bryce Canyon Nationalpark zu sehen und anschliessend noch einen Übernachtungsplatz in tieferer und wärmerer Lage anzufahren. Die Nachtkälte noch in den Knochen sitzen wir im Manny und starten den Motor. Kein brummendes Geräusch erklingt. Nochmals wird der Schlüssel gedreht, nichts erklingt.

Das Voltmeter bestätigt unsere Theorie, eine entladene Batterie und oh Schreck, die andere scheint ganz kaputt zu sein. Tobi macht sich auf die Suche nach Mobilfunknetz und Fränzi stellt sich an den Pistenrand, in der Hoffnung, dass irgendwann mal ein Auto vorbeifährt. Der Zustand der Piste ist in der Zwischenzeit nicht mehr ganz so schlammig, aber grosse Pfützen könnten doch noch einige vor einer Fahrt auf der Hole-in-the-Rock-Road abhalten.

Stunden vergehen bis in der Ferne Motorengeräusch erklingt. Zwei Franzosen mit einem gemieteten SUV kommen angebraust und wir versuchen es mit Überbrücken. Doch das will nicht klappen. Fürs Abschleppen sind die beiden Herren im Mietwagen nicht zu haben. Tobi hat inzwischen einen Platz mit halbwegs konstantem Internet gefunden und ruft einen Abschleppdienst im rund 15 km entfernten Ort Escalante an. Mindestens 250-300 Dollar verlangen sie zum Abschleppen nach Escalante. Da warten wir doch lieber noch ein bisschen am Pistenrand. Auf dieses teure Angebot können wir auch später noch zurückgreifen, oder wer weiss, vielleicht haben wir ja Glück und jemand zieht uns ins Dorf.

Stunden vergehen und selten fährt ein Auto vorbei. Abschleppen will uns niemand und wir möchten Manny nur ungern verlassen. Geduld wird geübt, wir haben es ja nicht eilig. Fast schon geben wir auf, bis uns nachmittags um 4 Uhr eine freundliche Familie im Pickup vorsichtig auf der stellenweise feuchten Piste um die Pfützen und Löcher, übers holprige Wellblech, langsam nach Escalante vor die Werkstatt abschleppt. Wir verabschieden uns dankend von der netten Familie und stürmen in die Garage. Es ist Freitag um 16.50 Uhr. In 10 Minuten schliesst die Werkstatt. Der Chef bestellt uns zwei neue Batterien, die bereits morgen früh geliefert werden. Freundlicherweise wird er am Samstag in die Werkstatt kommen und uns die Batterien aushändigen, damit wir sie einbauen und weiterfahren können. Nachdem wir den riesen Batzen fürs Abschleppen zurück in die Zivilisation gespart haben, gönnen wir unseren knurrenden Mägen eine leckere Pizza in einem kleinen Restaurant.

Bleiben hängen

Pünktlich und ausgerüstet mit dem Schraubenschlüssel, erscheinen wir zum Abholen der Batterien in der Werkstatt. Irgendwo ist ein Fehler unterlaufen, denn viel zu kleine Batterien wurden geliefert. Nun gut, nochmals neue Batterien bestellen und auf die nächste Lieferung warten. Die kommt am Dienstag. So bleiben wir ganz unverhofft in dem kleinen Örtchen Escalante hängen.

Neugierig erkunden wir die nähere Umgebung. So Stapfen wir durch den versteinerten Wald, um den Stausee, auf einen hohen Hügel und geniessen die Aussicht auf die karge, trockene Ebene. Es gefällt uns gut hier und die Möglichkeiten sind beinahe unerschöpflich. Der nächste Schneesturm zieht vorbei und lässt grosse Flocken durch die Luft wirbeln. Ruth und Markus überraschen uns per Zufall mit einem Nachmittagskaffee und tollen Reisegeschichten in ihrem Mercedes Sprinter.

Die Zeit in Escalante bleibt kurzweilig und irgendwann sind die Batterien da, Manny brummt beim Starten und das altbekannte, fast schon ohrenbetäubende Motorengeräusch erklingt. Glücklich rollen wir auf die Strasse und brechen auf die kurvenreiche Fahrt in den Bryce Canyon Nationalpark auf.

Weisse Schäumchen

Bereits die Anfahrt in den Bryce Canyon Nationalpark ist spektakulär. Es geht über eine kurvenreiche Strasse und wir kommen dem Schnee immer näher. Weiss glitzert und funkelt es um uns. Ein Grossteil des Nationalparks ist auf Grund der Schneemenge nicht zugänglich. So kurven wir von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt und freuen uns über den weissen Puderzucker, der den Felsnadeln in Pastell das i-Tüpfelchen aufsetzt. Natürlich gäbe es jede Menge Wanderungen und es wäre sicher auch eindrücklich die Hoodoos (turmartigen Gebilde, Felsnadeln) aus nächster Nähe zu sehen. Doch die Wege, welche in die bizarre Welt hinabführen, sind alle geschlossen. Wir fühlen uns auf den Pfaden am vereisten Canyonrand neben dem asiatischen Gänsemarsch, bei dem mancher mal hart auf dem Hintern landet, zwar trittsicher, aber einen Abstieg auf der Eisrutschbahn in den Canyon wagen wir uns dann doch nicht. Kalter Wind säuselt um uns und lässt es unangenehm in unserem Gesicht werden. Immer mal wieder müssen wir uns kurz im Manny hinter der sonnenbestrahlten Windschutzscheibe aufwärmen. Die Kälte ist es auch, die uns später zur Weiterfahrt bewegt.

Zion Nationalpark

Unsere Route führt uns durch den Zion Nationalpark. Viele Leute haben uns schon davor gewarnt, dass dieser Nationalpark ständig überfüllt sei und man kaum einen Parkplatz findet, geschweige denn einen Übernachtungsplatz auf dem Camping. Letzteres haben wir gar nicht vor und wenn uns die Gegend zu überfüllt ist, fahren wir einfach weiter.

Die Anfahrt zum Osteingang ist grandios. Nach der Durchfahrt des schmalen, dunkeln Tunnels windet sich die Strasse in engen Kurven in den Canyon hinab. Farbiges Herbstlaub liegt am Boden und verschiedene Flüsse sorgen dafür, dass uns der Anblick weiterer Felsen nicht langweilt. Der Zion Canyon ist das Herzstück dieses Nationalparks und darf ausschliesslich mit einem Shuttle-Bus befahren werden. Ein riesiger Parkplatz vor dem Visitor Center lässt vermuten, dass hier wirklich viele Leute unterwegs sind. Pragmatisch und unvorbereitet steuern wir dieses Ziel an. Problemlos findet Manny einen Platz zum Parkieren und anhand der Infos von einem Ranger locken uns zwei länger Spaziergänge im Canyon. Wir hüpfen auf den nächsten Bus, lassen uns in den Canyon chauffieren und spazieren zufrieden am Fluss entlang durch das Herbstlaub.

Mit dem Zion Nationalpark verlassen wir auch den Bundesstaat Utah. Er faszinierte uns über Wochen, veränderte unsere Vorstellung wie Stein und Fels auszusehen haben, begeisterte uns naturmässig jeden Tag aufs Neue und hielt uns Dank dem roten Sand zu regelmässigem Putzen an.

Bis zuletzt erfreuen wir uns über das Gestein in den verschiedensten Farben und Formen und haben es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, dass wir uns bis zum letzten Moment kaum daran sattsehen können. So gönnen wir uns den letzten Abend auf einer flachen, sandigen Ebene über die in der Ferne idyllische Felsen ragen und staunen am nächsten Morgen nicht schlecht. Schneeregen hat ein riesiges Schlammfeld um uns entstehen lassen. Kein Meter lässt sich gehen ohne einen gigantisch schweren Schlammklumpen am Wanderschuh zu haben. Jeder Gang zum Klo, in die Küche oder zum Fahrersitz wird nach dem Brückenbau aus Steinen zum Balanceakt. Ja das kann ja heiter werden…

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6 Comments
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Walti und Ursi
Walti und Ursi
29. Februar 2020 16:57

Liebe Fränzi, lieber Tobi

Einfach gewaltig diese Welt in der ihr euch herumtollt.
Muss wirklich äusserst spannend sein, sich durch diese engen
Schluchten zu quetschen und dabei den Masstab von Millionen
von Jahren passieren zu können.
Wir wünschen euch weiterhin gute Fahrt und viele sehenswerte
Ueberraschungen. Geniesst den heutigen 29.02.2020
Liebe Grüsse
Walti und Ursi

Michael
Michael
18. Februar 2020 5:04

Fantastischer Bericht und tolle Fotos. Weiterhin viel Spass beim Entdecken dieser herrlichen Landschaften.

Iris&Wolfram
16. Februar 2020 8:33

Liebe Freunde, eure Seite ist so cool, ich versinke immer wieder in Erinnerungen über Stunden… nicht ganz aber ich tauche ab und vergesse die Welt um mich. Ein gutes Leben wünschen wir euch. Iris&Wolfram