Ruf der Wildnis – die Yukon und Northwest Territorien

Ein besonderer Wald

Der Norden lässt uns einfach nicht los. Er zieht uns in seinen Bann, begeistert, überrascht und wir verweilen neugierig in der Wildnis des Yukon Territoriums. Was wir entdecken, sehen und erleben, füllt unsere Herzen und fast bleiben wir hängen…

Kaum haben wir die Provinzgrenze zum Yukon Territorium überquert, stehen wir in einem ganz besonderen Wald: Ein Schilderwald lockt uns nämlich an. 1942, während dem Bau des Alaska-Highways, nagelte ein vom Heimweh geplagter Soldat aus Illinois das Ortsschild seiner Heimatgemeinde an einen Baum. Tausende folgten und setzten ihre Zeichen an hohen Holzmasten. Wegweiser, Autonummern- und Ortsschilder aus aller Welt werden angebracht und täglich kommen neue dazu. Wir schlendern eine Weile durch den fantastischen Ort. Dabei staunen wir, wer hier alles seine Spur hinterlassen hat und was sich da alles entdecken lässt: Von Glarus an den Bernina-Platz, nach Kerns und Luzern, zum Pilatus und nach Oerlikon, überall werden wir von eigenen Erinnerungen und Geschichten überrascht.

Unterwegs durch die Natur

Die Gegend wird immer einsamer und die Dörfer lassen sich auf hunderten von Kilometern an einer Hand abzählen. Oft sind sie fast gar nicht zu sehen, denn die Häuser liegen versteckt im Wald. Handyempfang haben wir schon lange nicht mehr und Strassenschilder weisen uns wieder auf die nächste Tankstelle, in etwa 200km, hin. Wir geniessen die Ruhe und Einsamkeit an all den schönen Plätzen, an denen wir vorbeikommen.

George Johnston und das erste Auto im Yukon

Durch Zufall landen wir in Teslin in einem ganz kleinen Museum, dem „George Johnston Museum“. Herr Johnston war ein extravaganter Mann: Tlingit First Nation, Fallensteller, Pelzhändler, Ladenbesitzer, Fotograf und Taxifahrer. Ja, ihr habt richtig gelesen, Taxifahrer! Heute ist das nichts spezielles mehr, aber damals eben schon. 1928 brachte Johnston sein grüner Chevy nach Teslin. Es war das erste Auto im Yukon und es gab noch keine Strassen. Für die Community eine Sensation.

Zusammen krampften sie mit Beil und Säge um eine 4km lange Piste durch den Wald zu bauen, damit das Auto auch ausgefahren werden kann. Jahre später wurde diese dann Teil des Alaska-Highways. Johnston benutzte sein Chevy auch als Jagdauto. Im Winter malte er es deshalb immer ganz weiss an und sauste damit über den zugefrorenen Teslinsee. Sobald der Schnee schmolz, wurde es wieder grün. Im Museum erzählen seine ausdruckstarken Fotografien und die traditionellen Artefakte die Geschichte des Inland-Tlingit, und wie sie der raschen Veränderungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegneten.

HAA KUSTEEYI – unsere Kultur, unser Lebensstil

In Carcross findet gerade ein grosses Tlingit-Fest statt, bei dem Familien, alte und neue Freunde zusammengebracht werden um ihre Kunst und Traditionen zu teilen. Hüte werden geflochten, musiziert, Kanus gebaut, gesungen und getanzt, Reden geschwungen und traditionelles Essen verspeist. Wir sind mittendrin, geniessen, staunen und lernen.

Die vielen Eindrücke verdauen wir beim Schlendern durchs hübsche Städtchen Carcross und beim Abstecher in die kleinste Wüste der Welt. Lustig, die winzige Wüste haben wir hier nicht erwartet. Aber auch das ist möglich im Yukon.

Ankunft in Whitehorse

Whitehorse ist der Hauptort vom Yukon mit sagenhaften 25‘000 Einwohnern. Die Stadt gefällt uns; klein, aber wir finden alles und noch mehr was unser Herz begehrt. In der Bäckerei werden wir auf Deutsch begrüsst und erhalten das beste Brot seit wir unterwegs sind, nur das Selbstgebackene im Manny schmeckt noch leckerer.

In der Bibliothek mit dem schnellsten Internet der Stadt, beim Wasserhahn, wo wir unsere Trinkwasser-Kanister auffüllen oder auf dem Parkplatz des Canadian Superstores tummeln sich die Reisenden, die nach Norden ziehen. Alle bereiten sich auf ihr kommendes Abenteuer vor. Wir treffen auf tolle Leute, ziehen gemeinsam durch die Stadt und übernachten am liebsten, wie immer, etwas abseits. Da bietet sich der Long Lake geradezu an. Weg vom Rummel geniessen wir am See die Sonne, das Berichtschreiben und die gemeinsame Zeit mit Dominic, unserem neuen australischen Freund. Kurzerhand überwirft er seine Reisepläne und schliesst sich uns mit seinem Motorrad an, um gemeinsam in den Norden zu fahren.

Die Zeit verstreicht

Eilig haben wir es aber nicht. Mal spazieren wir am Yukon River entlang und besichtigen die SS Klondike, das ehemalige Passagier- und Güterschiff, das zwischen Whitehorse und Dawson City auf dem Fluss Yukon eingesetzt wurde, oder erledigen den anstehenden Ölwechsel. Schliesslich sind wir seit Happy Valley-Goose Bay in Labrador wieder gut 10‘000km gefahren. Von allen Seiten werden wir gewarnt, wie abgelegen es weiter im Norden sei. Besonders auf dem Dempster Highway, den 1750km Schotterpiste über den nördlichen Polarkreis nach Tuktoyaktuk an der Beaufortsee und wieder zurück, sei man einsam und auf sich gestellt. Genug Lebensmittel und zwei Reserveräder sollte man mitbringen. Naja, Manny hat nur eins, das wird schon klappen…

Am Yukon River entlang

Der mächtige Fluss Yukon entspringt im Marsh Lake, schlängelt sich durch den Norden Kanadas und durch Alaska und mündet nach langen 3185km in die Beringsee zwischen Alaska und Ostsibirien. Immer mal wieder taucht der breite, rauschende, blaue Fluss auf unserem Weg nach Norden auf. Berüchtigte Stromschnellen, die Five Finger Rapids, haben vor mehr als 100 Jahren, als der Yukon River die wichtigste Verkehrsader war, unzählige Schaufelraddampfer und Boote in Schwierigkeiten gebracht. Zahlreiche Goldsucher sind mit ihrem gesamten Hab und Gut versunken und aus war ihr grosser Traum vom Gold in Dawson City. Mit viel Dynamit wurde eine Säule irgendwann weggesprengt und so die Gefahr entschärft.

Dempster Highway

Wo beginnt der Norden und wie ist er? Vielleicht liegt die Antwort auf dem Dempster Highway. Dies ist die einzige Strasse Kanadas, die über den Polarkreis und in das Gebiet der Mitternachtssonne führt; 735km Schotterpiste bis nach Inuvik in den Northwest Territorien, eine der nördlichsten Städte der Welt. Seit letztem Sommer geht die Hochstrasse weiter, bis ans Nordpolarmeer nach Tuktoyaktuk und somit ist der kleine Ort nun auch im Sommer per Piste erreichbar. Der gesamte Highway bis ans Meer liegt auf einer dicken Isolationsschicht, um den Permafrost durch Aufheizung nicht zu beschädigen.

Kurz mal rechts oder links von der Strasse abbiegen klappt hier also nicht, ansonsten fällt man runter und versinkt vielleicht im aufgetauten, sumpfigen Boden.

Unterwegs auf dem Dempster Highway gibt es ein einziges Hotel, ein paar Tankstellen, zwei, drei einfache Campingplätze und zwei winzige First Nation Siedlungen. Ansonsten einsame Wildnis, unendlich weite Tundra und Taiga, die bloss von den Fähren über den Peel- und MacKenzie-River unterbrochen werden.

Wir nehmen zusammen mit Dominic die Abzweigung Dempster Highway bis zum Nordpolarmeer. Vielleicht eines der letzten Abenteuer? Wer weiss…

Das Glück der Weite

Die Landschaft zieht uns in ihren Bann. Diese Weite, die Einsamkeit, das besondere Licht und die überraschend ausdrucksstarken Farben umgeben uns und ein Fotostopp jagt den nächsten.

Höhepunkt folgt auf Höhepunkt: spitzige, felsige Berge im Tombstone Territorial Park; ein mineralhaltiger, orange gefärbter Fluss schlängelt durchs Tal; rot, braun und grau marmorierte Berge zieren den Horizont. Dazwischen weite Tundra Landschaften, hell- und dunkelgrüne Hügel und eindrückliche Farbräusche und borealer Wald, der zeitweise da ist und dann wieder nicht.

66° 33’ N: der nördliche Polarkreis

Die Schotterpiste ist breit und in unseren Augen gut ausgebaut. Der erste Regen verzaubert innert Kürze auch Manny in ein braunes Gefährt, so wie alle anderen Autos, die hier unterwegs sind. Wir rumpeln immer nördlicher und kommen vorbei an den Reisewegen der Karibus, die hier im Frühling und Herbst durchziehen. Auch wenn wir uns ständig wiederholen, die Landschaft haut uns einfach um.

Und plötzlich stehen wir am nördlichen Polarkreis. Was für einen Moment! Nun befinden wir uns auf der Linie, wo die Sonne am 21. Juni nicht untergeht. Je weiter nördlich wir gelangen, umso mehr Tage Mitternachtssonne werden hier den Leuten geschenkt. Im August ist es dazu bereits zu spät. In Inuvik geht die Sonne kurz unter und der Himmel leuchtet um 2 Uhr nachts in den kräftigsten Rottönen. Kurz drauf taucht der helle Feuerball am Horizont wieder auf.

Ost-Beringia – eine riesige Zuflucht

Unser Weg führt uns durch Gebiete von Ost-Beringia. Während der letzten Eiszeit füllten sich Täler im Süden und Osten mit Schnee und Eis. Eine kontinentale Vergletscherung fand statt, was dazu führte, dass der Meersspiegel sank. Teile von Yukon, Alaska und Sibirien wurden grünes, fruchtbares, eisfreies Land – Beringia genannt.

Viele Tiere und Pflanzen kamen so über die Landbrücke von Asien nach Nordamerika. Sebelzahnkatzen, Wollhaarmammut, Steppenbisons, Karibus, Riesenbiber und viele mehr waren in Beringia beheimatet. Noch heute finden Archäologen im Permafrost gut erhaltene Überreste von den Giganten die sich während der Eiszeit zum Überleben dahin zurückgezogen haben.

Bis zum Nordpolarmeer

Gespannt holpern wir über die neue Hochstrasse weiter und kommen dem Nordpolarmeer immer näher. In der Ferne sehen wir kleine und grössere Pingos, diese einzigartigen Gebilde des Nordens. Man soll sie nicht mit den Pingus verwechseln, die sowieso im Süden leben. ?

Pingos sind uralte kegelförmige Hügel mit einem Kern aus festem Eis. Sie bilden sich auf eine ähnliche Weise, wie Wasser in einer Flasche gefriert. Unterirdisch befindet sich ein kleiner See. Das Wasser gefriert und dehnt sich nach oben aus. Dadurch formt sich der Kegel.

Einige Kilometer vor unserem nördlichsten Ziel erkennen wir Zeichen der Zivilisation und ehrlich gesagt erschrecken wir ziemlich. Wir befinden uns in Kanada, aber der gigantische Müllhaufen am Dorfeingang erinnert uns eher an Orte in Tadschikistan.

Das kleine Inuit-Dorf Tuktoyaktuk liegt am Nordpolarmeer und direkt an der Küste endet unsere Strasse. Kürzlich haben wir eine Dokumentation über dieses Dorf gesehen und wie die Einwohner früher jedes Jahr sehnlichst auf die Eisstrasse gewartet haben, damit sie zum Weihnachtsbummel nach Inuvik fahren können. Ein Problem, welches nun mit der neuen Strasse wegfällt. Aber welche Schwierigkeiten wohl in Zukunft auf das Dorf zukommen? Ausgerüstet für Touristen sind sie noch nicht.

Die Grossmutter führt einen kleinen Food Truck und lädt die Gäste in ihren Wintergarten ein. Die Warteschlange ist heute riesig. Ob andere Leute auch Geschäftsideen für Touristen entwickeln oder versuchen eher traditionell weiterzuleben, wird sich wohl in Zukunft zeigen.

Die Kälte vom Eismeer noch in den Knochen können wir nun sagen, ab jetzt geht es nur noch in eine Richtung – auf in den Süden!

Goldrausch am Bonanza Creek

George Carmack, Dawson Charlie und Skookum Jim entdeckten 1896 Gold im heutigen Bonanza Creek und lösten damit hier den grössten Goldrausch des Jahrhunderts aus. Hundertausend Männer strömten auf abenteuerlichen Wegen nach Dawson City und gruben am Bonanza Creek wie Maulwürfe durch die Landschaft.

Über Nacht wurde Dawson City zu der Stadt im Norden. Zelte und Wohnhäuser wurden errichtet. Nach und nach reihten sich Theater, Bars, Tanzhallen und Hotels an die Post, Kirchen, Spitälern und Blockhäusern. Die Strassen waren staubig, die Trottoirs auf Holzplanken. Ein buntes Gemisch aus Goldgräbern, Tanzmädchen und Abenteurern lebten in der Stadt. Gigantische Vermögen wurden gemacht und wieder verloren. Gerade letzteres ging beim Pokerspiel oder am Roulettetisch im Diamant Tooth Gertie‘s Saloon & Casino ganz schnell. Vielleicht half den Verlierern jeweils das Bestaunen der Cancan-Girls um bei positiver Laune zu bleiben.

Wenige Jahre später wanderten die Goldgräber weiter nach Alaska. Die Claims wurden von riesigen Firmen aufgekauft, die z.B. mit Dredges (Schaufelradbaggern) diese im grossen Stil ausbeuteten. Nur ein paar Idealisten blieben Dawson City. Die Stadt drohte von der Welt vergessen zu gehen und zu zerfallen. Damit aus der ehemaligen Goldrush-Hochburg keine Geisterstadt wurde, wurde die ganze Stadt von Kanada zur nationalen historischen Stätte erklärt und aufwändig restauriert. Strenge Vorschriften gelten für die Häuser im Zentrum und wären da nicht die Touristen und die modernen Autos, könnte man sich glattweg vorkommen wie in den alten Zeiten.

Liebe auf den ersten und zweiten Blick

Wie vielleicht viele vor uns, verlieben wir uns sofort in die Goldgräberstadt. Die Geschichte ist ganz nah und wir riechen fast das Gold. Wir streifen durch die Claims, erkunden den Bonanza Creek, begutachten die alten Dredges, verjubeln unser Geld im Diamond Tooth Gertie’s Saloon & Casino und bestaunen die Cancan Girls, die noch immer ihre Röcke schwingen. Anders als die meisten Touristen, zieht es uns nach diesem kurzen Einblick nicht direkt weiter. Nein, wir bleiben, denn neben dem Zeitgeist von einst, fliessen auch viele neue Ideen in diese Stadt. Es herrscht eine entspannte Aussteiger Atmosphäre. So mancher kam für einen Sommerjob und ist noch immer hier.

Im Ballsaal wird heute Abend ein Film über eine Familie aus Dawson City gezeigt, die 9 Monate im Busch verbrachte. Lange sind wir nicht mehr im Kino gewesen und dieser Film spricht uns an.

In den Tagen darauf findet ein Kunstfestival in der Stadt statt. Junge Künstler präsentieren ihre Werke, ein neues Kunstzentrum wird während einer indianischen Zeremonie getauft und in alternativen Lokalen wird über Kunst diskutiert. Tapfer hält Tobi bei Fränzis neugierigem Entdeckergeist durch die Kunstszene mit.

Ein gemütliches Café reiht sich an ein tolles Restaurant, vieles ist selbstgemacht und Bio. Es ist verlockend einfach hier zu bleiben.

Tage später küren aber die Discovery Days den Abschluss unseres Aufenthaltes in Dawson City. Ein Wochenende mit besonderen Anlässen zur Feier der Stadt mit einer Parade, Handwerker- und Bauernmarkt, Workshops, Musik und dem Autorennen im Schlamm.

Unser Weg führt uns nun über den Top-of-the-world-Highway nach Alaska. Vielleicht hat der eine oder andere beim Lesen gespürt, dass wir noch immer ganz erfüllt sind, wenn wir an die Zeit im hohen Norden zurückdenken. Und wer weiss, vielleicht kehren wir zurück, werden in Dawson City sesshaft, versuchen 9 Monate im Busch zu leben oder beobachten die Karibuherden im Herbst.

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2 Comments
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Ursula Theiler
Ursula Theiler
11. November 2019 23:55

Herzliche Gratulazion zum grandiosen, glücklich verbrungenen Reisejahr!
Traumhafte Berichte freuen mich jedesmal riesig; tausend Dank!
Hier hats nun das erste Mal geschneit und zum Glück nur ein halber Tag
unser Gebiet winterlich weiss zugedeckt!! Noch ist unsere Gartenarbeit noch
nicht ganz perfekt… dreieinhalb Wochen reisten wir durch Südafrika,
Kalahari und Krügerpark! Über 100 Löwen konnten wir beobachten wie nie
zuvor! Jeden Tag Überraschungen und auch viele Vögel freuten uns riesig,
unsere Erwartungen mehr als erfüllt!!
Glück und viel Freude wünschen wir Euch weiterhin
und grüssen Euch ganz herzlich
Christoph und Ursula